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immer wider

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Städtische Galerie Delmenhorst, Haus Coburg 

23 November 2018 - 13 Januar 2019

Jean-François Guiton hat für seine Ausstellung immer wider eine Gruppe von Videoarbeiten und -installationen aus den Jahren 1987 bis 2018 präzise in die Räume der Städtischen Galerie Delmenhorst, Haus Coburg komponiert. Dabei empfiehlt er mit dem homophonen ˈviːdɐ (wider / wieder) seines Titels eine spielerisch oszillierende Betrachtungsweise des Ganzen. Wer ihn lediglich hört, fragt sich, ob es thematisch mehr um ein Dagegen oder um ein Abermals geht. Wer ihn liest, registriert, dass die Frage zugunsten des Widerständigen entschieden ist – obzwar die Wörtchen immer und wieder im täglichen Sprachgebrauch durchaus beste Freunde sind. Und siehe da: Die allesamt in Endlosschleifen präsentierten Video-Arbeiten der Ausstellung bringen eben auch das immer wieder, die Repetition, als Stilmittel und Thema auf den Plan. Denn, wer sich in die von Jean-François Guiton geschaffenen visuellen Schleifen begibt, lässt sich über kurz oder lang auf einen spezifischen Modus der Wahrnehmung ein. Dass dies im Sinne einer sensibilisierten Selbstwahrnehmung mit einem Heraklitischen Zweifel an der Möglichkeit einer Wiederholung des genau Gleichen einhergehen kann, gehört zum Kalkül des Künstlers, wie auch die Gewissheit, dass viele Betrachter und Betrachterinnen beim Rundgang durch die Ausstellung unwillkürlich über ein basales Rätsel ihres Daseins sinnieren: Was ist Zeit?

Die Arbeiten von Jean-François Guiton regen dazu an über eine alltagstaugliche Vorstellung von Zeit hinauszudenken. Weit hinaus über eine Vorstellung von Vorher und Nachher, von einem mess- und vergleichbaren linearen Fluss der Zeit. Mit vielen seiner Arbeiten staunt der Künstler über halbseidene Konstrukte, die die Bedeutung subjektiv empfundener Zeit genauso ignorieren, wie das denkbar mögliche Zugleich von allem zu jeder Zeit. In diesem Sinne sucht Jean-François Guiton in seinem künstlerischen Schaffen eine Form, wie er selbst sagt, die „Zeit in ihrer Dichte zu komponieren.“ 

Die Ausstellung immer wider gipfelt im Dachgeschoss von Haus Coburg in einer drei Räume übergreifenden Video-Installation mit dem Titel „Nebelkammer“, 2018. Dort bewegt sich das Publikum inmitten einer kompromisslos apokalyptischen Atmosphäre, die schwer auf allem anderen lastet: Auf Arbeiten wie „Hochgehängt“, „an die Wand“ oder „Inspiration“, die mit einer feinen ironischen Note Handlungsrollen des Kunstsystems spiegeln, vor allem auch auf drei ebenfalls 2018 entstandene Monitorarbeiten, mit denen Jean-François Guiton seine Künstleridentität befragt.

„Rote Zahlen“, „Unruh“ und „Pendeluhr“ sind vom Foyer vertikal aufsteigend in den Stockwerken installiert. In ihnen verbrüdert sich die Mühsal des lebenslangen immer wieder mit dem, was letztlich den Künstler antreibt, mit dem lebenslang nagenden immer wider als eigentlichem Antrieb kreativer Arbeit – wider Erwarten, wider die landläufige Vorstellung, wider die Geistlosigkeit, wider die Ignoranz, wider die Ungerechtigkeit – und natürlich auch wieder: wider die Zeit. Die abschließende Arbeit „Pendeluhr“ zeigt den Künstler von hinten auf einer Bank unter einem Zifferblatt sitzend als grotesk hin- und her schwankende Kreatur. Festgekrallt mit beiden Händen, mit rhythmisch zuckenden Schultern. Ein Mensch in sich gefangen. Ein Mönch in Trance? Ein Hospitalisierter, hin- und hergeworfen in einer rätselhaften Jaktatio corporis? 

Pendeluhr“ ist eine verstörende Arbeit. Überraschend gibt die wider / wieder- Homophonie kombiniert mit einem Blick in ein etymologisches Lexikon der drastisch performten Schleife einen geradezu munteren Schwung. Das Wörterbuch lehrt, dass die beiden Worte erst seit dem 17. Jahrhundert durch eine geänderte Schreibweise unterschieden werden. Ihre ursprüngliche gemeinsame Wurzel ist das Wort weiter. Nicht der schlechteste Schlachtruf für ein Künstlerleben. 


 ▸▸ Dr. Annett Reckert