Holzstücke

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Georg F. Schwarzbauer 

aus: Video in Düsseldorf, Wevers, Schwarzbauer, Düsseldorf 1984, S.: 18/19

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“Am Beispiel einzelner Bild- bzw. Themenvorwürfe wird die Vielzahl  möglicher Erscheinungsbilder abgehandelt. Stets sind es die bewusst angestrebten sparsamen Handlungsstrukturen, etwa das Zusammenfallen einer Balkenkonstruktion bei “Holzstucke”. (…), die das weite Feld bedeutender Assoziationen auslösen. (…) Dabei spielt der Ton, stets als Originalton und in komplizierter Schneidetechnik angewandt, eine nicht unwichtige Rolle. Er stimmt ein, will gerade durch seine Anwendung im Sinne unterstutzender Bilderläuterung als suggestive Erklärung des Bildgeschehen verstanden werden. (…) Guiton (…) mochte seinen Realitätsbegriff im Sinne von Ludwig Wittgenstein verstanden wissen. “Die Realität ist keine Eigenschaft, die dem Erwarteten noch fehlt und die nun zutrifft, wenn die Erwartung eintritt. Die Realität ist auch nicht wie das Tageslicht, das den Dingen erst Farbe gibt, wenn sie im Dunkeln schon, gleichsam farblos vorhanden sind. “Diese Einheit des künstlerisch Vorbestimmten lässt eine wichtige Schlussfolgerung zu. Realität und Intention müssen in den gebotenen Bildern (z.B. den Video- tapes) als eine untrennbar miteinander verwobene Einheit gesehen werden. Zeichen und Intentionen sind ein geschlossenes Ganzes. Ihre betonte Identität stellt eine fur uns alle verbindliche Weltvorstellung dar.”

Georg F. Schwarzbauer

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Holzstücke

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Dagmar Streckel

Aus Künstler-Videos, Entwicklung und Bedeutung, Friedemann Malsch, Dagmar Streckel, Ursula Peruschi-Petri, Kunsthaus Zürich, 1996, S. 119 

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Nach»Da Capo«, seinem ersten Video band, produzierte Guiton im selben Jahr 1982 das Videoband »Holzstücke«- Gutions charakteristische Stilmittel sind von Anfang an eine stark rhythmisierte Reihung kurzer Bild- und Tonsequenzen alltäglicher Herkunft, wobei letztere bisweilen musikalische Qualität annehmen. Ein grosses Vorbild, das Gutions derart strukturierte Wahrnehmungen angeregt hat, ist, nach Gutions eigenen Worten, das zentrale Motiv aus Alfred Hitchcocks Krimi-Klassiker » Fenster zum Hof « (1954) gewesen: mil gebrochenem Bein sitzt ein Mann am Fenster und lauscht den Geräuschen, die aus den Wohnungen über den Hof zu ihm dringen. Und anhand dieser Gerausche erlebt und rekonstruiert er jene Wirklichkeit, die er im akustischen Ausschnitt wahrgenommen hat, in vollem Umfang. Die verschiedenen »Holzstücke« siedeln die Klangqualitäten der aufgezeichneten banalen Vorgänge auf einer Ebene mit den Bildern an, die, im kurzen Ausschnitt. das seriell wiederholte Zusammenfallen verschiedener zuvor kunstvoll aufgebauter Holzbretter-Konstruktionen in Staccato-Sequenzen vorfuhren, Durch einen geringen, nur mit Schnitt und Laufgeschwindigkeit arbeitenden. technischen Aufwand sind Bild und Ton so rhythmisiert, dass sie Eigenleben gewinnen und verdichtet neue Wahrnehmungen darstellen. Das teilweise zu hämmerndem Staccato geschnittene Geräusch der in der leeren Halle zusammenbrechenden Bretterkonstruktionen ist bis hin zu aggressivem Maschinenlärm gesteigert. Die zusammenfallenden Bretterkonstruktionen erhalten so choreographische Eigenständigkeit.

Dagmar Streckel

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Holzstücke

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Peter Rautmann, Nicolas Schalz

Aus Flüchtiger Augenblick. Zur Rolle von Bild und Klang in den Videoarbeiten von Jean-François Guiton, in  Katalog "abwechselnd gleichzeitig, gleichzeitig abwesend", Kunstverein Ludwigshafen a. Rh., Ludwig Museum Koblenz, 2001  

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Nachdem wir ein spätes Video behandelt haben, scheint es uns sinnvoll, an den zeitlichen Anfang der Video-Arbeiten von Jean-François Guiton zurückzugehen, an das noch analog hergestellte Band mit dem Titel Holzstücke, das 1982 entstanden ist. Auf diese Weise wird es uns möglich sein, die Spanne zu präzisieren, die im bisherigen Oeuvre zurückgelegt wurde; zu bestimmen also, was an Ansätzen geblieben ist und was sich wohin verändert hat.

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Holzstücke ist eine auf Slapsticks beruhende, geradezu chaplineske Arbeit, voller umwerfender Komik und Spannung, ausgerichtet auf den Suspense mit eingelösten und nicht-eingelösten Erwartungen. Dies ist umso frappierender, als nicht Personen Inhalt sind, sondern Dinge, "Holzstücke" eben, die in mehrere akrobatische, "halsbrecherische" Balanceakte gebracht werden, und dabei, bis auf eine Sequenz, natürlich mit Getöse in sich zusammenfallen, dann aber elektronisch in den Erstzustand zurückgebracht werden, gewissermaßen dabei neuen Atem schöpfen. Das Geräusch der zusammenfallenden Hölzer (es sind eigentlich Bretter-Arrangements), ist wieder eine reine "musique concrète"; insofern kommt es bei dieser Videoarbeit, musikalisch gesehen, nur auf einen Parameter an, auf die Rhythmus-Gestaltung.

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Es folgen sich, durch knappe Pausen unterbrochen, insgesamt sechs Sequenzen und alle leben aus der Spannung, wann und wie denn der Zusammenbruch erfolgen wird. Zeigt schon die zweite Sequenz sich als virtuoses und geradezu absurdes Spiel zwischen Destruktion (Zusammenbrechen eines Bretterhaufens) und Re-Konstruktion (elektronisch wiederhergestellter Erstzustand des Haufens), wobei die Klangrhythmik das destruktive Moment betont, so kennt die vierte Sequenz kein Pardon mehr in Bezug auf das infernalische Spiel zwischen Destruktion und Re-Konstruktion: ein ohrenbetäubendes Ostinato aus Achtelschlägen, ein gehämmertes, nicht enden wollendes Continuum, die grotesk absurde Courante sozusagen in der sechsteiligen Suite. Es ist ein grandioser Einfall des "Komponisten", daß er die fünfte Sequenz beim reinen Balanceakt und damit beim Spiel mit der (enttäuschten) Erwartung eines Zusammenfalls beläßt; musikalisch unterstreicht er diese totale Differenz, indem er auf die fortissimo-Sequenz Nr. 4 die Tacet-Sequenz Nr. 5 folgen läßt. Der kurze sechste Teil, der Abschluß, erscheint wie die Coda-Reminiszenz auf die zweite und vierte Sequenz; dreimal noch fällt der zwischendurch rekonstruierte Bretterhaufen in sich zusammen.

Peter Rautmann, Nicolas Schalz