Videos von Jean-François Guiton

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Michael Strock-Schloen

in Neue Musikzeitung, 4/92 

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So sehr die Minimal music an ihren Anfängen durch die New Yorker “minimal art” beeinflußt und gefördert wurde, so starr ist oftmals ihre Beziehung zur visuelle Komponente geblieben. Die Großen Opern von Philip Glass seit “Einstein on the Beach” oder John Adams (“Nixon in China”) entwerfen zumeist kein gemeinsames konstruktionsprinzip von Bild und Musik, sondern behandeln die kleingliedrige Patternwirtschaft der Partitur als autonome Folie - ein Gegensatz, der sich sowohl kritisch-produktiv als auch beliebig-langatmig auswirken konnte.

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Einen anderen Weg minimaoistischer Bild-Ton-Komplexe gingen manche Video-Künstler der Achtziger Jahre, unter ihnen der 1953 in Paris geboren Jean-François Guiton. 1980, nach Jobs im Modell- und Messebau, begann Guiton ein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie und bewies gleich mit ersten Video-Arbeiten wie der zehnminütigen “Partitur” (1983) konzeptionellen Witz und handwerkliche Sicherheit. Als vierteilige “Sonatenform” wird in “Partitur” der alltägliche Vorgang einer geräuschvoll zuschlagenden Tür zu atemlos rasanten oder atmosphärisch langsamen Sequenzen rhythmisiert, die den musikalischen Prinzipien von Crescendo und Decrescendo, von Addition und Subtraktion der Bild-Ton-Chiffren folgt.

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Guiton perfektioniert dieses Montage-Verfahren in der kurzen Studie "Intermezzo ou les chaises musicales" zu einem drolligen Ballet mécanique umkippender Stühle, während das fünfminütige Videoband "Fußnote" aus der strenge Zuordnung von abhebenden Füßen, rollenden Aktenwagen und vorbeihuschenden Körpern in strenger, fugenartiger Konstruktion unser aller Büroleben ironisiert.

In seinen preisgekrönten Bänder und Videoinstallationen, von denen der Marler Katalog einen knappen Eindruck gibt, provoziert Guiton stets eine geschärfte Wahrnehmung der Umwelt und ihrer Rituale durch radikale Ausschnitte (wandernde Füße im Schnee in "La longue marche"), extreme Verlangsamungen Beschleunigungen von Bewegungen. Und sein poetischer Sinn für die Energie von Stille und Kraft äußert sich vielleicht am schönsten in der Installation "Le Fardeau" (Die Last), bei welcher ein schwarzer Videomonitor wie ein bösartiger Parasit in einem großen, naturweißen Leinentuch ruht.