Kreuzweise

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Elke Bippus

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Kreuzweise nennt Jean-François Guiton seine Videoinstallation. Der Titel irritiert in seiner Doppeldeutigkeit und verschiebt die im Kirchenraum wirksame religiöse Semantik, die mit dem Wort Kreuz aufgerufen ist. Denn einerseits führt der Titel, der in dem Ausdruck „du kannst mich mal kreuzweise“ enthalten ist, ins umgangssprachlich vulgäre, andererseits – so der Duden – meint er zwei Dinge über Kreuz übereinanderlegen. Der Titel öffnet den Deutungsraum und bezeichnet zugleich ein Verfahren Guitons. 

Jean-François Guiton hat links und rechts des kreuztragenden Christus am Mittelpfeiler hinter dem Hauptaltar zwei Monitore gestellt, auf denen Bilder aus Ingmar Bergmanns Film Persona zu sehen sind, konkret das Hineinschlagen eines Nagels in eine Hand. Mit diesen Bildern wird das vorweggenommen, was dem kreuztragenden Christus bevorsteht, oder anders gesagt, eine paradoxe Zeitlichkeit wird entworfen, die derjenigen des Traums entspricht. Denn in diesem macht das Nacheinander der Kausalrelation einer Gleichzeitigkeit Platz. Alle zeitlichen Relationen werden im allgemeinen zu Ortsrelationen 1

Die Aufnahmen auf beiden Monitoren sind die gleichen, jedoch gespiegelt und zeitlich versetzt, so daß ein Hin- und Her entsteht, das die Wirkung der in Zeitlupe gezeigten Hand zu einem letzten Aufbegehren werden läßt. Kreuzigungsdarstellungen haben überlicherweise die Funktion, Zeichen der Überwindung von Tod und Vernichtung zu sein. Sie zeigen das zumeist stilisierte Leiden sowie den Tod des „menschgewordenen Gottes durch eine schimpfliche und doch heilbringende Hinrichtung“. 2

In der Videoinstallation kreuzweise stellt sich dagegen der Tod nicht ein, was konzeptuell zur Folge hat, daß die Auferstehung, das Heil ausbleibt. Die schmerzvolle Qual wird in einer nicht enden wollenden Wiederholung ausgedehnt, den Kreuzigungen im Altertum ähnlich, in denen die am Kreuz aufgehängten einen qualvollen Erstickungstod erleiden mußten. 3 Durch die Überlagerung der verschiedenen Bilder – der der biblischen Geschichte und derjenigen aus Bergmanns Persona – wird die Kreuzigung nicht in eine übersinnliche Bedeutung transzendiert, sondern mit der Perversität der Tötungsart verschränkt. 

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1     Sigmund Freud: Revision der Traumlehre. In. Ders.: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Und neue Folge.     Studienausgabe. Bd. I, Frankfurt am Main. S. Fischer Verlag, S. 467

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2    Theologische Realenzyklopädie Bd. XIX, S. 742.

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3    Die Hinrichtung am Kreuz wurde zumeist durch Aufhängung an einem Querbalken vollstreckt, was in vielen     Kreuzigungsdarstellungen deutlich wird, in denen die Schächer ans Kreuz gehängt sind. Konstantin der Große hat die     Kreuzigung nach 320 abgeschafft. Theologische Realenzyklopädie Bd. XIX, S. 742.